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The Notwist und „Vertigo Days – Live From Alien Research Center“: Aus Bayern zu den Sternen

Ein Live-Album, das keine Konzert-Aufnahme ist, nur mit Songs von einem Album, das letztes Jahr erschienen ist. Braucht es das unbedingt? The Notwist sagen ja und liefern auf „Vertigo Days – Live From Alien Research Center“ die Argumente dafür.

The Notwist sind ein Haufen Nerds aus der bayerischen Provinz, die vom Hardcore zur Elektronik fanden, um schließlich bei einer Art Stubenhocker-Clubsound zu landen. Von Covid zum Stubenhocken gezwungen machten sie „Vertigo Days“ 2021 dennoch zu einem Album, das sich mit dem furchtbaren Begriff „Weltmusik“ am besten beschreiben lässt. Begleitet von Gäst:innen aus Japan, den USA und Argentinien zehren die Stücke von unterschiedlichsten Einflüssen, die beim Hören vertraut erscheinen, aber irgendwie auch fremd, wie von Aliens empfangen.

Passenderweise heißt das Homestudio der Band, das immer noch im oberbayerischen Weilheim steht, „Alien Research Center“. Dort entstand, Überraschung, „Vertigo Days – Live From Alien Research Center“, auf dem die Band ihr letztes Album nochmal eingespielt hat, aber diesmal in einem Raum und ohne Gäst*innen.

Das Setting sorgt dafür, dass die Tracks dringlicher und direkter klingen, als wenn sie aus vielen E-Mail-Anhängen zusammengebaut sind, wie das beim ursprünglichen „Vertigo Days“ notwendig war. Die Live-Umgebung lässt den Musiker*innen aber auch den Raum, zu improvisieren, bestimmte Sektionen zu verändern, neu zu denken. Manchmal ist das holprig, aber das ist okay.

Es verankert das Album da am Boden, wo die Studioversion den Kopf in den Wolken verliert. So erscheint das ausschweifende Intro zu „Into The Ice Age“ plötzlich doch menschengemacht, die Klänge sind viel eher ortbar und trotzdem fragt man sich immer wieder, woher eigentlich dieser Sound kommen kann.

Das klingt jetzt vielleicht, als würde „Live From Alien Research Center“ ewig mäandernd um sein eigenes Songmaterial kreisen, aber tatsächlich kommt es in einer Dreiviertelstunde locker auf den Punkt, seine Unmittelbarkeit lässt aus schönen, aber distanzierten Songs wie „Into Love/Stars“, „Exit Strategy To Myself“ oder „Sans Soleil“ mitnickbare Hits werden.

Fazit

6.9
Wertung

„Vertigo Days“ war ein Statement darüber, dass Musik von der Interaktion mit Anderen lebt, „Live From Alien Research Center“ ist die überzeugende Beweisführung dazu.

Steffen Schindler